Zen und die Kunst einen Garten zu genießen
„Jetzt erzähle ich Ihnen, woran man einen echten Gärtner erkennt,“ schreibt Karel Capek in seinem zeitlosen Grünfinger-Klassiker „Das Jahr des Gärtners“ aus dem Jahr 1932: „Sie müssen bei mir einmal vorbeischauen, sagt jener. Ich möchte Ihnen meinen Garten zeigen. Wenn Sie dann kommen, um ihm eine Freude zu machen, finden Sie sein Hinterteil, das irgendwo zwischen den Stauden herausragt. Ich komme gleich, sagt er über die Schulter hinweg, ich pflanze nur noch etwas ein.“
Eine Stunde später hat eben dieser Gärtner kaum ein Wort mit seinem Gast geredet. Er war zu beschäftigt. Er musste hier Grasbüschel aus einem Beet zupfen, da die verfestigte Erde lockern, dort eine unpassend platzierte Aster umsetzen.
Wir Gärtner kennen das. Wir sind immerzu beschäftigt. Wir kramen und pflanzen und binden auf. Wir säen, schneiden, graben, zupfen, wässern und düngen. Wir federn lang vor den ersten Sonnenstrahlen auf, eilen hinaus in den Garten und verlassen ihn erdverkrustet, zerkratzt und glücklich oft erst dann wieder, wenn die Sonne bereits versunken ist. Und in all dieser Geschäftigkeit des Zupfens und Mängelbeseitigens, des Töpfe Hin und Her-Rückens laufen wir irgendwann Gefahr, den Blick für das Schöne zu verlieren. Wir sehen nur noch, was alles zu tun wäre: das auszureißende Unkraut, die aufzubindende Kletterrose, den immer noch nicht durchgeworfenen Komposthaufen.
Das ist der Moment, in dem Selbstdisziplinierung angesagt ist.
Denn wozu ist ein Garten da, wenn nicht, um ihn auch zu genießen? Um einfach einmal eine Zeitlang ruhig in ihm zu sitzen, ihn zu betrachten, den Bienen zuzuhören und sich die Sonne auf den Gärtnerpelz scheinen zu lassen.
Das Nichtstun ist in unserem Kulturkreis verpönt, dabei kann es eine große Kunst sein. Meister Ikkyu Sojun riet bereits vor über 500 Jahren seinen Zen-Schülern, sie sollten erst die Liebesbriefe lesen lernen, die Schnee, Wind und Regen ihnen schickten, bevor sie sich in das Studium der Sutren versenkten, getreu der Zen-Weisheit: „Still sitzen. Nichts tun. Der Frühling kommt. Das Gras wächst.“
Auch der Garten ist ein vielseitiger, sich immerwährend neu formulierender Liebesbrief. Wenn wir ihn aufrichtig lieben, was uns nicht schwerfallen dürfte, so liebt er uns auf jeden Fall zurück. Er beschenkt uns mit Blumen, Düften, lukullischen Genüssen, und es wäre doch unhöflich, diese Geschenke nicht anzunehmen, weil man sich die Zeit dafür nicht nimmt. Die Würdigung seiner zahlreichen Gaben fällt dann umso leichter, wenn gewisse Voraussetzungen gegeben sind, was ein wenig vorausschauender Planung und vor allem der entsprechenden Möblierung des grünen Refugiums bedarf.
Denn der Müßiggang will zelebriert werden. Wer seinen Garten als das betrachtet, was er sein kann, ja sein sollte, nämlich die Erweiterung der Wohnräume durch gemütliche Freiluftzimmer, bewohnbar in fast allen Jahreszeiten, wird den Garten von Beginn an entsprechend anlegen und auf jeden Fall mit möglichst vielen dafür geeigneten Plätzen ausstatten.
Diese Maßnahmen können, müssen jedoch nicht aufwendig sein. Beginnen wir mit dem Einfachen: Eine schöne Bank hier neben dem Fliederbusch, ein Kaffeetisch dort unter dem Apfelbaum. Eine überwachsene Laube, in der einem die Weintrauben nachgerade in den Mund hängen, ein befestigtes Plätzchen für den Liegestuhl, ein Ort, an dem eine Hängematte aufgehängt werden kann, und – was für ein Luxus! – ein überdachtes Areal, in dem man sommers geschützt sitzen, dem Regen und dem Amselgesang zuhören kann.
Frühere Generationen haben diese Außenzimmer viel lustvoller inszeniert und zelebriert, und die Ausrede, es wäre hierzulande ja viel zu kalt dafür und würde sich gar nicht auszahlen, gilt nicht. Auch in den kühleren Regionen Japans und Chinas steht in jedem Garten, der etwas auf sich hält, zumindest ein kleines Teehaus. Vernachlässigen Sie also niemals die Möblierung des Gartens, denn Gelegenheit macht Liebe. Wo einladende Sitz- und Liegemöglichkeiten warten, dort lässt man sich auch nieder, blickt um sich, entdeckt, dass die besondere Rose blüht, beobachtet einen Zaunkönig, der wie ein feiner Windhauch durch die Hecke raschelt, und riecht die Nachtviole, die erst dann zu duften beginnt, wenn der Tag langsam verweht und die Sonne untergeht.
„Das Leben birgt viele Umwege in sich“, lautet noch so eine Zen-Weisheit, und „die Kunst besteht darin, dabei die Landschaft zu bewundern.“ Wir Perfektionisten unter den Gartenmenschen müssen uns das dringend hinter unsere erdstaubigen Ohren schreiben. Unser Garten ist die Landschaft, Möglichkeiten, ihn zu bewundern gibt es rund um das Jahr.
Nach den vielen Umwegen vom Gemüsegarten zum Komposthaufen zur Gartenhütte und zurück, nach dem Kramen nach den ewig unauffindbaren Lieblingsgartenscheren, dem Rosendüngen und Rasenkantenschneiden darf man aufseufzend hinsinken, denn fertig wird man mit der Gartenarbeit ohnehin nie. Nicht in diesem Leben.
Auch Karel Capek kam, wie alle Gärtner aller Zeiten, irgendwann zu diesem Schluss: „Jedes Jahr trägt der Gärtner seine Stauden von einem Platz auf den anderen, wie die Katze ihre Jungen; jedes Jahr sagt er sich zufrieden: So, jetzt habe ich alles bepflanzt, alles ist in Ordnung. Im nächsten Jahr wird er genauso aufatmen. Der Garten ist nie fertig. In dieser Hinsicht ähnelt er der menschlichen Welt und jeglicher menschlicher Tätigkeit.“
Erschienen in der Presse