Wann auch immer man ihn in seiner Wohnung am Wiener Naschmarkt besuchte, stand auf seinem Küchentisch eine Glasvase voller Blumen inmitten einer Unzahl diverser, oft rätselhafter Gegenstände. Es waren unkapriziöse Sträuße. Im Frühling gerne ein Bund Tulpen, im Sommer nicht zu wenige Rosen. Meistens leuchteten sie in freundlichen Pastellfarben. Zartrosa oder Cremegelb, selten Dunkelrot. Wenn Daniel Spoerri bemerkte, dass man seine Blumen betrachtete, pflegte er sich zu freuen und zu sagen: „Sind die nicht wunderbar?“ Dann erzählte er Geschichten über die Blumenfrauen, bei denen er sie gekauft hatte.
Ein paar Rosen stehen jetzt noch draußen in Blüte, doch in der Nacht auf vergangenen Mittwoch kam der erste Frost über die Lande. In der Früh lag der Garten vom Reif in Silberschimmer und Pastellfarben getaucht unter der kalten Morgensonne. Die erste Frostnacht des Herbstes – sie versetzt die Natur alljährlich mit einem Schlag in einen anderen Aggregatzustand. Etwas geht in dieser Nacht zu Ende, etwas anderes beginnt. Der erste Frost ist ein Signal, vergleichbar mit dem allerersten Gesang einer Amsel im zeitigen Frühjahr. Selbst wenn noch Schnee liegt, weiß man, der Winter wird bald enden, ein neuer Frühling wird kommen.
An diesem frostigen Mittwoch, der den Winter endgültig ankündigte, starb in Wien der Künstler Daniel Spoerri, und auch mit ihm geht eine Epoche zu Ende. Er sei das lebende Fossil einer untergegangenen Zeit, hatte er vor ein paar Jahren lapidar angemerkt. Die alten Kollegen, die Freunde, alle „in sich und in das Nichts zurückgesunken“, wie er es ausdrückte.
Es war Sommer. Wir saßen auf dem Balkon und tranken Tee aus der Minze, die er dort neben Kosmeen im Blumentopf zog, und dem Ingwer, der aus einem meiner Töpfe stammte. Er erzählte seine Lebensgeschichte. Vom Pogrom im rumänischen Jasch, das er nur durch glücklichen Zufall überlebte, von der wilden Zeit in Paris mit Jean Tinguely und Eva Aeppli, die seine besten Freunde gewesen waren. Von seiner Zeit als Solotänzer in der Schweiz. Von Leuten wie Andy Warhol, Marcel Duchamp, Roy Lichtenstein und vielen anderen zumindest zeitweiligen Wegbegleitern.
Doch letztlich war Daniel Spoerri ein Tänzer zwischen den Welten, und sein letztes Quartier schlug er in Wien auf. Hier fließt der Fluss, an dem er geboren wurde. Hier roch es wie dort, wo er ein Kind gewesen war: „Plötzlich hab ich gewusst, hier bleibst du und schwimmst langsam wieder hinunter zu deinem Geburtsort.“
Der Reif verbrennt die zarteren Blumen, aber andere halten noch ein Weilchen Stand. Die letzten gelben Blüten der Sonnenhüte und Sonnenaugen leuchten im Nebel, auch die seit Wochen in Rosa, Blau, Lila und Weiß wogenden Asternbeete werden noch ein paar Wochen in Farben schwelgen. Sie stammen alle aus dem vormaligen Hofgarten in Hadersdorf,
wo Spoerri ein denkmalgeschütztes Stiftsgebäude zum Ausstellungshaus verwandelte. Im Hof hatte sich ein großes Blumenbeet befunden, das wegmusste.
Es war schon ziemlich geplündert, als ich an einem Tag im späten Herbst mit Spaten und Mörtelwannen ankam. Die Rosen waren verpflanzt, der Rest an unidentifizierbarem, bereits abgeschnittenem Grünzeug sollte auch noch gerettet werden, sagte er, und so grub ich all die Pflanzen aus, führte sie nach Hause, stach ein neues Beet aus dem Rasen und setzte alles wieder ein. Damals wusste ich noch nicht viel über Spoerris Kunst, die Geschichten gebrauchter Dinge weiterzuspinnen, ihnen einen neuen Drall zu geben. Doch mittlerweile weiß ich, dass dieses Experiment der Verpflanzung des Unbekannten ganz in seinem Sinne war.
„Plötzlich hab ich gewusst, hier bleibst du und schwimmst langsam wieder hinunter zu deinem Geburtsort.“
Das Beet entwickelte sich zu einer wilden Pracht in allen Farben, und über die Jahre haben sich die Pflanzen aus Hadersdorf mächtig ausgesät und vermehrt und wachsen längst schon überall wiedergeboren weiter. Nicht nur hier, auch in den Gärten von Freunden und vielleicht weit darüber hinaus. Das wilde Denken, sagte er, habe er 1966 auf der kleinen griechischen Insel Symi gelernt, auf der er ein Jahr verbrachte. Dort habe er zu dem gefunden, worauf es ihm ankomme: „Objekte, die eine emotionale Qualität haben, weiterzuspinnen.“
In diesem Jahr am Meer, zwischen Ziegenhirten und Fischern, in einem unbeheizbaren Steinhäuschen, entstanden Spoerris erste „Krimskrams-Objekte“. Eines davon ist eine umwickelte Nadel. Er fand sie in der Leber einer Ziege, und er stellte sich vor, wie sie die Nadel verschluckt hatte und daran irgendwann verendet war. Die emotionale Qualität, die an Objekten haftet, die unendlich vielen Geschichten, die sie erzählen können, auch der rätselhafte Krimskrams auf dem Küchentisch neben der Blumenvase – darum ging es ihm.
Daniel Spoerri. 1930 geboren im rumänischen Galati als Sohn eines zum Protestantismus konvertierten Juden und einer Schweizerin, die eine lutherianische Mission leiten. 1942 Flucht in die Schweiz. Tänzer, Künstler, Erfinder der Eat Art und unendlich vieles mehr.
Hadersdorf. Im Ausstellungshaus Spoerri sind zahlreiche Arbeiten des Künstlers untergebracht. „Hier werden in jährlich wechselnden Ausstellungen Arbeiten in Dialog zu Werken von Freund*innen aus seinem reichen Künstlerleben und spannenden Künstler*innen der Gegenwart gestellt, vieles davon erstmalig in Österreich zu erleben.“
Vase. Es war fast immer dieselbe einfache Glasvase, in die er seine Blumen steckte und so lange darin behielt, bis die Blätter abfielen. Aber das Wasser war immer frisch.






