Man kann es sich jetzt noch nicht so recht vorstellen, doch in wenigen Wochen wird der Garten im Rausch der vollen Frühlingsblüte stehen. Es ist alljährlich faszinierend, wie schnell das alles geht. Der segensreiche Regen der Vorwoche hat die Natur wachgekitzelt. Erst war ein grüner Hauch über Sträuchern und Bäumen bemerkbar, jetzt, ein paar Tage später, ist die Welt schon wieder sattgrün. Die zu erwartenden Schönheiten des Mai beginnen sich auch bereits zu regen. Erste Rosen werden schon bald ihre Knospen öffnen, der Flieder wird duften, und eine wilde Pflanze, der ich besonders zugetan bin, wird ebenfalls ihren Auftritt haben.
Die Akeleien stecken zwar gerade erst die Blättchen aus dem Erdboden, aber sie sind hurtige Pflanzen. Es dauert nicht mehr lang, und dann man wird sehen, in welche Farben sie ihre Blütenröckchen heuer zu tauchen gedenken. Akeleien hätten in ihrer heimischen Form „die Robustheit von Unkraut“, schrieb Barbara Frischmuth vor 26 Jahren: „Einmal vorhanden, säen sie sich überall aus und gehören mit ihren warmen Blütenfarben zu den fröhlichsten und anmutigsten Gewächsen, mit denen ein Garten einen ohne viel Aufwand belohnt.“
Zaubergarten in Altaussee
Das Zitat stammt aus Frischmuths erstem literarischen Gartentagebuch mit dem Titel „Fingerkraut und Feenhandschuh“ – ein zauberhaftes Pflanzenbuch, und die gärtnernde Schriftstellerin widmete darin ihrer Leidenschaft für Akeleien ein eigenes Kapitel. Vergangene Woche ist die Steirerin gestorben. Unsere Begegnungen werden mir unvergesslich bleiben. Wir verglichen unsere zerkratzten Gärtnerinnenhände mit den ganz kurz geschnittenen und nicht immer salonfähigen Fingernägeln und tauschten uns über den charakteristischen Geschmack diverser Unkräuter aus.
Barbara Frischmuth pflegte ihren Zaubergarten in Altaussee, oben auf dem Berg in 800 Meter Seehöhe. Schwieriges Gelände, das Klima rau, die Winter lang, die Sommer oft verregnet. „Der Garten erzieht den Menschen viel mehr als der Mensch den Garten“, meinte sie: „Pflanzen und Menschen manipulieren sich gegenseitig, und oft delegieren Pflanzen an uns Dinge, die sie selbst nicht können. Man weiß nie wirklich, ob man nicht schon im Dienste einer Pflanze steht.“ So lässt man angeflogene Sämlinge an den unmöglichsten Stellen wachsen, beispielsweise auf Wegen, und dann verbringt man den gesamten Sommer damit, ihnen auszuweichen, weil man es nicht übers Herz bringt, sie auszurupfen.
Mit Pflanzen und mit Tieren sei sie aufgewachsen, meinte sie, und sie sei ewig dankbar dafür. Schon als Volksschulkind bewirtschaftete sie ein kleines Beet. Ob ihr diese frühe Begegnung mit der Natur und die Versuche deren Disziplinierung die Liebe zum Gärtnern eingeimpft habe, fragte ich sie einmal. „Auf jeden Fall“, sagte sie, „obwohl ich als Kind vor allem mit vielen Tieren aufgewachsen bin. Die Leidenschaft für Pflanzen kam nach und nach. Ich habe in meinen Wohnungen stets regelrechte Dschungel kultiviert. Doch erst als ich nach Altaussee kam, konnte ich wirklich zu gärtnern beginnen.“
Erinnerungen und Erfahrungen sind nicht nur im Hirn gespeichert, sie wohnen in unserem gesamten Organismus, darin waren wir uns einig. Viele dieser sinnlichen Erfahrungen sind in ihre Literatur eingeflossen, und auch deshalb sind ihre Gartenbücher so schön zu lesen. Es reiche nicht, den Namen einer Pflanze zu kennen, meinte sie, wenn uns die Erfahrung, der Umgang mit ihr fehle.
„Das Körperwissen ist elementar“, sagte sie: „So wie Schwimmen und Radfahren im Körper gespeichert sind und nicht mehr verlernt werden. Ich bin dankbar dafür, dass wir als Kinder in Horden tagelang durch die Natur zogen. Das einzig Wichtige war, schon mit vier Jahren schwimmen zu lernen. Sobald wir das konnten, waren wir ständig draußen. Heut bin ich so froh darüber und glaube auch, dass man dadurch doch irgendwie immunisiert wurde. Durch den vielen Dreck, mit dem man aufgewachsen ist.“ Ich erzählte ihr, dass wir uns oft mehr in der Hundehütte aufgehalten hatten als sonst wo. „Wir hatten keine, dafür lag der Hund in meinem Bett“, antwortete sie. Wie blass werde doch die Welt, und wie einseitig, wenn man sich nicht mit dem Leben befasse, das uns ständig umgibt.
Wenn die Akeleien blühen, wird sich zeigen, welche Orte sie sich gesucht haben, um zu wachsen, und welche Farben sie tragen werden. Rosa, Weiß, Himmelblau, Dunkellila. Mitunter tauchen sie auch mit weißen Röckchen auf, wenn man Glück hat. Ich werde für Barbara Frischmuth einen Strauß pflücken und vor dem Küchenfenster ins Freie stellen, so wie sie das auch immer getan hat.
Barbara Frischmuth. Geboren 1941 in Altaussee. Die Schriftstellerin und Übersetzerin aus dem Türkischen und Ungarischen ist am 30. März im Alter von 83 Jahren gestorben. Sie war Mitglied der Grazer Gruppe. Erst kürzlich ist ihr letztes Buch Die Schönheit der Tag- und Nachtfalter im Residenz Verlag erschienen.


