Seerosen sind faszinierende Geschöpfe, egal welche der etwa 70 weltweit beheimateten Arten man gerade betrachtet. Diese Pflanzen sind in allen Teilen schön. Erst schaukeln ihre sattgrünen runden Blätter auf dem Teichspiegel an der Grenze zwischen Himmel und Wasser. Schon wenig später tauchen die unglaublichen Blüten auf, und an denen kann man sich kaum sattsehen. Viele Seerosen können hierzulande recht einfach kultiviert werden, selbst im Bottich gedeihen die Kleineren unter ihnen jahrelang tadellos fast ohne Zutun.
Doch dann gibt es die eine, die für unsereiner eine Sehnsuchtspflanze bleiben muss. Es sei denn, man kann ihr ein sehr geräumiges Becken unter Glas bieten, in dem die Wassertemperatur stets zwischen 25 und 30 Grad beträgt, das täglich zumindest sechs bis acht Stunden unter der prallen Sonne liegt, und in dem die Luftfeuchte nie unter 70 Prozent sinkt: Die größte aller Seerosen, Victoria amazonica, früher Victoria regia, ist ein Wunder der Natur. Wer diesem begegnen will, sollte sich in das Große Palmenhaus in Schönbrunn oder in das Palmenhaus im Hofgarten in Innsbruck begeben. Da wie dort pflegen und hegen die Bundesgärtner die südamerikanische Gigantin, die zum Berauschendsten zählt, das die Botanik hervorgebracht hat. In Innsbruck erfolgt das bereits seit Längerem, doch neuerdings gibt es auch in Schönbrunn ein Seerosenbecken für die Königin
Meine erste Begegnung mit dieser Pflanze fand vor Jahrzehnten im Atelier meines malenden Großvaters statt. Der Duft von Ölfarbe und Terpentin hing in der Luft, ich lag bäuchlings neben der Staffelei auf dem Boden und blätterte in einem Buch. Auf einem Foto war da ein schwimmendes kreisrundes Blatt abgebildet. Es war riesengroß und offenbar kräftig genug, um einen kleinen Buben zu tragen. Der saß in des Blattes Mitte und lächelte mich an. Das will ich auch erleben, dachte ich, doch dafür müsse man sich nach Amazonien begeben, war nachzulesen.


Bis ich der Pflanze leibhaftig begegnen sollte, war ich bereits zu schwer für derlei aquatisch-botanische Experimente. 40 bis 50 Kilo trägt ein kräftiges Blatt, und das ist seiner ausgeklügelten Konstruktion geschuldet. Zum einen erreichen die Blätter einen Durchmesser von bis zu drei Metern, zum anderen sind sie kreisrund, was die Lastverteilung optimiert. Die Ränder sind rundum nach oben gebogen, das stabilisiert die Konstruktion und verhindert, dass Wasser auf die Blattoberfläche gelangt. Diese ist glatt und von zäher Konsistenz, doch die Unterseite offenbart ein Netzwerk kräftiger Rippen. Die verlaufen mit vielen Querverbindungen vom Zentrum nach außen und sind hohl und luftgefüllt.

Diese tragfähige Rippenkonstruktion inspirierte seinerzeit den britischen Gärtner Joseph Paxton beim Entwurf des Crystal Palace (1851) anlässlich der Großen Weltausstellung in London. Im Falle der Pflanze sind die Rippen auch noch mit bis zu fünf Zentimeter langen Stacheln bewehrt, um Fressfeinde abzuhalten. Denn wer im üppigen Dschungelbiotop des Amazonasbeckens überleben will, muss sich wappnen und auch schnell sein. Die Blätter wachsen in Windeseile, sie breiten sich rasch über große Flächen aus und verdrängen schwächere Gewächse. Die Blätter selbst fungieren als Kraftwerke, denn wer so rasant wuchert, braucht viel Energie. Und dann kommt endlich die Blüte.
Anfangs eine schneeweiße Augenweide im Großformat von bis zu 40 Zentimeter Durchmesser und einem satten Duft, der ein wenig an reife Ananas erinnert. In der Nacht erhöht die Victoria amazonica die Temperatur in den Blüten um bis zu zehn Grad über die Umgebungstemperatur, denn sie intensiviert damit das Parfum. In ihrem natürlichen Habitat lockt der Duft Käfer an, die im Blüteninneren auch reichlich Proviant vorfinden. Das ist gut so, denn in der ersten Nacht, sobald sie sich hier niederlassen, schließt die Blüte die Insekten ein. Erst in der Folgenacht lässt sie die Käfer wieder frei, und damit die zu spät Gekommenen wissen, dass hier nichts mehr zu holen ist, färbt sie sich in dieser Zeit in ein sattes Rosa um.
Denn zwischenzeitlich hat die Blüte zeitverzögert auch die Pollenproduktion aufgenommen, und die überstäubten Freigelassenen fliegen die nächste noch weiße Blüte an und bestäuben sie. Danach schließt sie sich endgültig, sinkt in die Tiefe, entwickelt eine kugelrunde Frucht, darin zahllose Samen, die das Wasser weitertreibt.

LEXIKON
Victoria amazonica. Die Amazonas-Riesenseerose wurde nach der britischen Königin Victoria benannt. Als erster Europäer entdeckte sie der österreichische Botaniker Thaddäus Haenke auf einer seiner Forschungsreisen im Amazonasgebiet.
Palmenhaus Schönbrunn. Im Rahmen der Sonderausstellung zur Feier des neuen Seerosenbeckens wird auch auf die Entdeckungsgeschichte der Königin unter den Seerosen und vieles andere genauer eingegangen.
Seerosen. Wer weder über Teich noch Palmenhaus verfügt, kann die kleineren unter den Seerosen ganz einfach in einem größeren Trog oder Bottich ziehen. Es braucht wirklich wenig dazu. Ein bisschen Erde hineingeben, warten, bis sie sich im Wasser gesetzt hat, und dann eine Zwergseerose versenken.