Manchen Menschen gelingt es, die Welt weit über ihren Lebenshorizont hinaus ein bisschen besser zu machen, und ein solcher war der brasilianische Gartenkünstler Roberto Burle Marx. Ein kleiner Mann mit Wuschelhaar, dicker Brille und breitem Lächeln. 1909 in São Paulo geboren, 1994 in Rio de Janeiro gestorben – in der Stadt, die heute ohne ihn an vielen Ecken und Enden nicht wäre, was sie ist.

„Es genügt nicht, mit den Pflanzen zu sprechen,
man muss ihnen auch zuhören.“

Er selbst war vieles: Maler, Bildhauer, Musiker, Pflanzensammler, Strelizienzüchter und Betreiber einer Gärtnerei. Einer, der ab den 1930er-Jahren den Duft des Internationalen Stils witterte, ihn aufnahm und in Gärten und Parks zwischen den neuartigen Architekturen der Moderne aufblühen ließ. Burle Marx malte dreidimensionale Landschaftsbilder. Er entwickelte mit spiegelnden Seerosenbecken, tropischer Üppigkeit und farbig in bizarren Mustern und Schwüngen gepflasterten Wegen und Plätzen eine ganz und gar eigene, unverwechselbare Handschrift. Er hatte Malerei studiert, als Garten- und Landschaftsarchitekt war er jedoch Autodidakt. Heute gilt er unumstritten als die prägendste Figur der Garten- und Landschaftsgestaltung der Moderne.

Das Wellenmuster der Strandpromenade von Copacabana aus dem Jahr 1970 und die mindestens so gekonnte dreifarbige Bepflasterung und Bepflanzung vor der Häuserfront dieses Stadtteils Rios ist seine wahrscheinlich bekannteste Arbeit. Er konzipierte mehr als 2000 Gärten und Parks, darunter städtebauliche Grün-Großprojekte wie in Pampulhas, das er gemeinsam mit Oscar Niemeyer entwickelte. Die langgestreckte Grünanlage des „Aterro de Flamengo“, ein riesengroßer Park, 1965 am Ufer der Guanabara Bucht eröffnet, ist nur eines davon.

Städtebau, Architektur und Gartenkunst sind hier auf 120 Hektar zu einem Gesamtkunstwerk verheiratet. 17.000 Bäume, 350 Arten, darunter allein 40 Palmenarten, bilden das große Gerüst, sozusagen die Makro-Struktur des beliebten und vor allem an den Wochenenden von Familien, Freizeitsportlern und den in Brasilien allgegenwärtigen Kickern frequentierten Parks. Die dazwischen eingebettete und von eleganten Stegen und Brücken überdeckte achtspurige Verkehrsader ist dann für Flaneure, Skater und Radfahrer stillgelegt.

„Einen Garten macht man mit Licht und Tönen,
die Pflanzen sind Mitwirkende.“

Ein Juwel liegt jedoch abseits und ist knapp am Ufer der Meeresbucht in den Pelz dieses grünen Bandes eingelassen: Das 1952 fertiggestellte Museum für Moderne Kunst. Die Architektur von Affonso Eduardo Reidy samt Gartenanlage von Roberto Burle Marx zeigen, wie nackter Beton und tropische Natur miteinander spielen und ein untrennbares Ensemble bilden können. Man muss sich weder in die Wissenschaft der Architektur noch in die der Gartenkunst vertieft haben, um zu spüren, wie hier das eine mit dem anderen verschmilzt, auch wenn dem Ort der vormalige Glanz abhandengekommen ist.

Heute, sieben Jahrzehnte nach der Eröffnung, ist Reydis aufgestelzter Bau immer noch ein Prachtstück, doch Schlamperei und tropische Feuchte haben dem Gebäude zugesetzt. Rosttränen, wo die Bewehrung frei liegt, das obere Geschoß eine verwaiste Baustelle, die aktuelle Ausstellung ein schaler Witz. Rio ist chronisch pleite nicht erst seit den Olympischen Spielen 2016. Der Außenraum ist noch schlimmer verkommen. Und trotzdem ist der Garten wunderbar, in seiner Struktur offenbar unzerstörbar.

In bröckelnden Wasserbecken schweben nach wie vor rosa Lotosblüten über den Spiegelungen, auch die weißen Seerosen blühen noch, Pfeilblätter sausen in die Höhe, und in der Pflasterung dazwischen hat Burle Marx die typischen Copacabana-Wellen vorweggenommen.

Das Beste aber sind die Bäume, die der Brasilianer gerahmt und im Schachbrettmuster angeordnet hat. Ihre Wurzeln haben zwar mittlerweile Betonplatten und Pflaster zu einem Stolperparcours aufgeworfen, aber im Gegensatz zur Architektur haben ihnen die Jahre gutgetan. Sie sind über und über mit riesigen fleischigen Blüten bedeckt, die ausschauen, als ob sie nach Insekten schnappen wollten.

„Ein Garten entsteht aus der Zusammenfügung natürlicher Materialien,
den ästhetischen Gesetzen folgend und verwoben mit der Vision des Künstlers,
seinen vergangenen Erfahrungen, seinen Zweifeln, Schmerzen, seinen Versuchen, seinen Irrtümern und Erfolgen.“

Die südamerikanischen Kanonenkugelbäume, Couroupita guianensis, sind faszinierende Schönheiten, wie so viele andere Tropenbäume. Ihre Blüten sitzen nicht auf den Ästen, sondern an speziellen Auswüchsen, die rundum dem Baumstamm entspringen. Über die Jahre können sie meterlang werden und sich reich verzweigen. Stets bilden sich an den Enden neue Blütenknospen, während an anderen Stellen ganze Kaskaden kugelrunder Früchte mit beeindruckendem Durchmesser von an die 25 Zentimeter ausreifen. Sie blühen und fruchten jahraus, jahrein. Was kümmert sie schon die sanften Wellen der hiesigen Jahreszeiten? Was kümmert sie Moden, Rezessionen, Bestechungsskandale, das Bröckeln von Beton oder Demokratie.

Kanonenkugelbaum

Der in Südamerika heimische Prachtbaum mit den fleischigen rosa Blüten wird in Rio wegen seiner Dauerblüte gern als Straßenbaum eingesetzt und wächst in großer Zahl etwa auch in Ipanema.

Couroupita guianensis heißt er botanisch. Die Brasilianer nennen ihn Abricó de Macaco, Aprikose des Affens.


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